Andi Weiss im Interview

„Es gibt keinen, der nichts zu geben hätte“

Man bezeichnet Andi Weiss gern als „Songpoet der leisen Töne“. Sein viertes Album wurde gerade fertig. Im Interview erzählt der überzeugte Frühaufsteher Geschichten hinter den Songs und von seinem bewegten Tour-Alltag.

„Es gibt keinen, der nichts zu geben hätte“
Andi Weiss
Hallo Andi, wo kommst du jetzt gerade her?

Aus dem Bett ...
Es ist gerade 4:57 Uhr. Ein idealer Zeitpunkt, sich den Fragen für dieses Interview zu stellen. So ruhig wie in diesem Moment wird es den ganzen Tag nicht mehr sein ... Herrlich!

Du bist ein Morgenmensch?

Ich stelle mir nie einen Wecker. Ich stehe dann auf, wenn ich wach werde. Das variiert zwischen fünf und sieben Uhr. Ich genieße diese Zeit. Dann, wenn noch kein Telefon klingelt, keine Mails eintrudeln und ich nicht gleich zum nächsten Termin springen muss. Hier lese ich, sammle mich, hier entstehen meine Bücher, meine Lieder, hier fließen die Gedanken. Dann, etwas später, bringe ich meiner Frau Kaffee ans Bett.



Wie sollte ein solcher Tag für dich möglichst weiter gehen?

Perfekt ist ein Tag dann, wenn ich morgens Zeit mit meiner Frau habe. Wenn wir uns gegenseitig erzählen oder etwas vorlesen. Dann gehen wir beide unseren Arbeiten nach und treffen uns meist erst wieder am Abend. Perfekt abgerundet ist ein Tag für mich, wenn ich am Ende mit gutem Gewissen in den Spiegel schaue -  und mir selbst unter die Augen treten kann. Habe ich es geschafft, den Tag nicht etwa zu verlängern, aber zu vertiefen? War ich aufrichtig? Ehrlich? Gerecht? Habe ich andere und mich selbst ernst genommen? War ich liebevoll?  Ein Tag steckt auch für mich dann voller Glücksmomente, wenn ich am Abend auf besondere Momente – ich nenne sie „Sinnfunken“ – zurückblicken kann. Ich glaube nicht an Zufälle. Deshalb freue ich mich auf jeden Tag, an dem ich – obwohl ich sehr gerne vorausschauend plane, denke und arbeite – positiv überrascht werde.

Die eigene Melodie zu finden, ist eine lebenslange Reise ...



Kannst du deine Beziehung zum Klavier beschreiben?

Das Klavier ist mein guter Freund, mit dem ich alles, was mich bewegt, besprechen kann. Wenn es in unserer Familie früher Streit gab, dann bin ich ans Klavier „geflüchtet“. Dort war ich allein, konnte meinen Gefühlen eine „Stimme“ geben und so das ausdrücken, was ich mit Worten nicht gekonnt hätte. Heute ist das Liederschreiben für mich ein heilsames Geschenk geworden, eine Therapie für meine Seele und eine gute Form der Auseinandersetzung mit den Themen und Gefühlen, die mich bewegen.

Kannst du dich an dein erstes selbst geschriebenes Lied erinnern?

Da war ich noch sehr jung ... also noch jünger als heute :) und es war ein tieftrauriges Weltuntergangslied in furchtbarem Englisch. Konstantin Wecker singt einmal: „Ich singe weil ich ein Lied hab...“. Ich merke, dass es ein paar Jahre der Auseinandersetzung mit mir, mit meinen Mitmenschen, mit meinem Glauben gebraucht hat, um mein „eigenes Lied“ zu finden. Als ich vor ein paar Jahren anfangen habe, mich mit meiner Person und meiner Geschichte  auseinanderzusetzen, habe ich auch mein eigenes Lied entdeckt ... oder sagen wir vielleicht meine ersten eigenen Noten. Die komplette, eigene Lebensmelodie zu entdecken, ist, glaube ich, eine lebenslange Reise.

Lieb dich gesund

Durchlebt. Hoffnungsvoll. Liebevoll. Mit diesem Album zeigt Munter- und Mutmacher Andi Weiss einmal mehr, wie man ...

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Wie kamst du zu dem Thema des neuen Albums?

Ein neues Programm ist für mich immer das Ergebnis aus vielen Begegnungen und Gesprächen.  Meine Songs wollen keine „Zeigefingerlieder“ sein. Ich setze mich erst einmal mit mir selbst auseinander. Ich versuche, mir selbst und anderen zuzuhören. Was bewegt uns Menschen? Was sind die großen Fragen, bewegende Momente, existentielle Themen? Was braucht unsere Seele, um gesund und heil zu werden? Dann fange ich an, in verschiedenen Büchern zu lesen, mit Menschen über diese Fragen ins Gespräch zu kommen. Ich frage mich selbst: Was tut mir selbst gut? Was gibt mir Kraft und Antrieb? Was hilft mir, mit Stärken und Schwächen umzugehen? Was gibt mir Sinn?
Ich mache gerade eine Ausbildung zum Logotherapeuten. Die Logotherapie (nicht zu verwechseln mit der Logopädie) stellt sich die Frage, wie ein Mensch Sinn in seinem Leben entdecken kann. Sinn, sagt Viktor Frankl, entdeckt ein Mensch aber nicht nur in seinem eigenen Leben, sondern gerade dann wenn er sich ganz einer Sache verschreibt oder wenn er einem anderen Menschen Liebe und Zuwendung schenkt. Die Selbstliebe eines Menschen ist dann gesund, wenn sie sich selbstliebend weiter verschenkt.

Es gibt auf dieser Erde keinen, der nichts zu geben hätte ...



Empfindest Du Liebe und Zuwendung als Mangelware?

Ich war letztes Jahr mal wieder bei meinen Freunden auf dem Wittekindshof in der Nähe von Bielefeld und habe ein Konzert gespielt. Dort leben geistig und körperlich behinderte Menschen. Einer von ihnen ist Claus Meyer. Er ist inzwischen in eine eigene Wohnung gezogen. Darauf hat er sich lange gefreut! Also war es für mich wichtig, am Tag nach dem Konzert noch einen Besuch bei ihm in der neuen Wohnung abzustatten. Stolz zeigte er mir sein neues Zuhause. Wir saßen in der Küche, tranken Kaffee und aßen Kuchen. Im Gespräch fiel mein Blick auf den großen Wandkalender mit Monatsübersicht. Der gesamte Kalendermonat war leer – nur ein einziger Eintrag stand im Kalender: „Andi Weiss“ und daneben war eine Sonne gemalt. Warum verschenken wir uns nicht? Warum fällt es uns Menschen so schwer, einander Liebe zu schenken? Ich glaube, jeder Mensch hat mindestens  einen „Claus Meyer“ , bei dem er im Kalender steht. Der auf den Tag wartet, an dem er besucht wird. Aber warum kennen wir unseren ganz persönlichen „Claus Meyer“ oft noch nicht? Fühlen wir selbst uns zu klein oder meinen wir, in dieser Welt nicht geben zu können? Um andere Menschen lieben zu können, braucht es auch eine gesunde Selbstliebe, ein gesundes Wissen über die eigenen Talente und Schätze. Ich lerne aber erst dann meine Geschenke in mir kennen, wenn ich sie ausgrabe, auspacke und nicht nur für mich alleine behalte, sondern mich selbst leidenschaftlich verschenke. Es gibt auf dieser Erde keinen Menschen, der nichts zu geben hätte.



Empfindest Du die Menschen oft als kaltherzig?

Wer nicht genießt, wird ungenießbar. Wer keine Liebe bekommen hat, dem wird es schwer fallen, Liebe weiterzugeben. Das meine ich gar nicht anklagend sondern das weckt in mir tiefes Mitleid für uns. Machtinteresse, Geldgier oder auch religiöse Gründen lassen uns Menschen oft lieblos handeln. Dabei ist Liebe – so abgedroschen dieses Wort auch sein mag – das höchste wichtigste und heilsamste Gut in unserem Leben. Ich singe in einem Lied: „Du bist geliebt – Du bist doch viel mehr wert, als jedes Auge sieht. Behalt` Dir diesen Schatz, wenn Alles um Dich flieht. Du bist geliebt“.

Als ich das neulich einem Bekannten vorspielte, wurde er traurig. Er sagte: „Bei deinem letzten Album hast du uns „Nie allein“ zugesungen. Und das kann ich auch wirklich hoffen! Aber, dass ich geliebt bin, das kann ich manchmal einfach nicht glauben ...!“ Manchmal fällt es mir auch schwer zu glauben, dass ich geliebt bin.  Wenn ich bei einem Menschen bei der Beerdigung am Grab stehe, dann lese ich fast schon aus Protest die Verse aus Römer 8. Paulus stellt dort fest, dass uns nichts, aber auch gar nichts von Gottes Liebe trennen kann. Bei einem weiteren Song singe ich: „Lieb mich, komm lieb mich, auch wenn ich`s nicht verdien. Lass es am Ende Liebe sein. Die über allen Dingen steht. Bring es zu Ende und bring mich heim, wenn sonst niemand mit mir geht – wenn sonst niemand zu mir steht.“

Wie geht es weiter mit deinen neuen Liedern?

Gerade werden die Songs mit Leben gefüllt. Das heißt, zu den Liedern kommen jetzt auch die Geschichten und Texte, die bei den Konzerten das gesamte Bild des Programms ausmachen. Es ist für mich immer ein herausfordernder Prozess, ein „altes“ Konzertprogramm ziehen zu lassen, um sich diesem neuen Prozess zu stellen und aufzubrechen. Ich spiele ja weiterhin auch die anderen, inhaltlich immer noch genauso aktuellen Programme. Ab Februar 2014 bin ich mit dem „Lieb dich Gesund“-Programm im gesamten deutschsprachigen Raum unterwegs. Lieder bekommen eben auch dann erst Leben, wenn sie mit anderen Menschen geteilt und gemeinsam erlebt werden. Auf meiner Website (LIVE) stehen alle Termine für die kommende Zeit. Vielleicht sehen wir uns ja bald!

Vielen Dank für das Interview und alles Gute für dich und deine neuen Songs.

Das Interview führte Wencke Bates für Gerth Medien.
(c) Fotos: Sergej Falk.