
Abends läuft in der ARD zur besten Sendezeit ein spannender Film mit dem Titel „DER PREDIGER“. Ein potenzieller Mörder will Pastor werden, der evangelische Bischof bekommt kalte Füße, als er davon erfährt. Denn: „Was wird die Presse sagen, wenn das rauskommt?“ Der Mann soll schließlich seine junge Frau am Tag ihrer Hochzeit von einer Klippe gestoßen haben. Gestanden hat er die Tat nicht. Aber alle Indizien sprechen gegen ihn, viele Jahre hat er deshalb schon im Knast gesessen. Um sich abzusichern und direkte Informationen zu bekommen, schickt der Bischof seinen persönlichen Referenten ins Gefängnis. Er soll herausfinden, was für ein Mensch dieser Typ wirklich ist, den sie „DER PREDIGER“ nennen. Und vor allem, ob er schuldig ist oder nicht.
Am Ende des Films bleibt offen, was auf der Klippe in Schottland geschah, wo sich das Drama abspielte. Hat DER PREDIGER seine Frau hinuntergestoßen, oder ist sie, wie er sagt, gestolpert und von allein gefallen? Was ist Wahrheit und was Lüge? Am nächsten Morgen stehen wir im Verlag zusammen und unterhalten uns über den Film, der die meisten von uns tief beeindruckt hat. DER PREDIGER ist ein packendes Drama, ein ganz besonderer Film, der kaum jemanden kaltlässt. Und wir stellen fest: 3,3 Millionen Menschen haben wie wir diesen Streifen mit Lars Eidinger in der Hauptrolle gesehen. Die BILD-Zeitung titelt am gleichen Morgen über dem gepixelten Foto eines Mannes im schwarzen Talar: „Dieser Mann ist ein Mörder. Jetzt ist er Pastor.“
Wochen vergehen. Dann kommt eines Tages tatsächlich eine Mail: „Ich bin der, den Sie suchen …“ Zaghaft antworten wir, verabreden uns zu einem ersten Telefonat, dann zu einem Treffen. Wir müssen vorsichtig sein, sagt DER PREDIGER: „Stellen Sie Ihren Wagen am Ende der Straße ab, gehen Sie das letzte Stück zu Fuß, sagen Sie niemandem, woher Sie kommen und was Sie von mir wollen. Und wenn Sie anrufen und meine Kinder oder meine Frau am Telefon sind, sagen Sie auch nicht, worum es geht; verlangen Sie immer nur nach mir.“
Nach einer langen Reise stehe ich schließlich vor dem Gartentor eines Einfamilienhauses. Im Türrahmen ein alter Mann, lächelnd. „Schön, dass Sie da sind.“ Im Wohnzimmer breitet er alles aus. Vor zwei Jahrzehnten hat er seine Lebensgeschichte niedergeschrieben. Und er will, dass sie veröffentlicht wird, damit alle erfahren, dass Gott auch auf krummen Zeilen gerade schreiben kann.
Stefan Wiesner
Eine Leseprobe zum Buch Der Prediger finden Sie hier