Über ihr ereignisreiches Leben

Dunja Rajters Flucht aus dem goldenen Käfig

Als Sängerin und Schauspielerin erlangte sie internationale Bekanntheit, spielte in Filmen wie „Winnetou“ oder „Salto Mortale“ mit. In ihrer Autobiografie „Nur nicht aus Liebe weinen“ blickt Dunja Rajter nun dankbar auf ihr Leben zurück. Ihre Zuversicht und Lebensfreude hat sie trotz Krisen, wie dem Scheitern ihrer Ehe mit Sänger Les Humphreys, nie verloren.

Dunja Rajters Flucht aus dem goldenen Käfig
Foto: Patrick Poch/teutopress
Sie heiratet den Popsänger Les Humphreys, doch das Glück währt nicht lange: Mit ihrem kleinen Sohn flieht sie nach vier Jahren aus einer Ehe voller Gewalt und Drogen:



Danny ist mein Ein und Alles. Er ist ein Kind der Liebe. Sein Vater heißt John Lesley Humphreys, von allen Les genannt. Und ich bin Dannys Mutter. Wir wohnen in einer 18-Zimmer-Villa mit Sauna und Swimmingpool in der besten Hamburger Gegend. Ein Abend im Frühjahr 1975 wird alles verändern.

Danny ist noch ein Baby. Knapp zwei Jahre nach einer traumhaften Hochzeit 1972 mit mehr als 400 Gästen aus Prominenz und Politik ist er auf die Welt gekommen. Les ist ein Star, ein Popmusiker. Mit den Les Humphries Singers wird er Anfang der Siebzigerjahre bekannt und verkauft bis 1976 mehr als 48 Millionen Tonträger. Ich gelte in der Musik- und Fernsehwelt mit meinen dunklen Haaren als rassige und etwas geheimnisvolle Schönheit und als diejenige Sängerin und Schauspielerin, die einen der begehrtesten Junggesellen der Siebzigerjahre abbekommen hat. Es ist eine glamouröse Welt, in der wir uns bewegen, eine Welt, über die die Boulevardblätter gerne berichten: Wie wir uns kennengelernt haben, unsere Hochzeit, wie wir umgezogen sind aus der kleinen Wohnung in Eppendorf in die Luxusvilla mit Park am Elbstrand von Blankenese. Und wie wir dort leben. Wir verkörpern die perfekte Familie, schön, reich, berühmt, begehrt, immer strahlend – ein wahr gewordener Traum. 

In diesem Traum sitzt Les abends auf dem großen cremefarbenen Sofa, schwenkt Whiskey in einem Glas, lehnt sich zurück und entspannt nach einer stressigen Arbeitswoche, die er vor Kameras und auf Bühnen verbracht hat. Danny schlummert in seinem Bettchen. Die Tür habe ich abgeschlossen. Bis eben hat Les dagegen gehämmert und mich aufgefordert herauszukommen. Jetzt ist es still. Les hat sich verzogen.

Er ist betrunken, wie an jedem Abend. Immer wieder trinkt er, und an jedem Morgen danach beteuert er, dass er damit sofort aufhören wird. Dann tut er es doch wieder. Der Hausarzt hat gesagt, wenn Les trinke, dann solle ich ihn in Ruhe lassen, weil er sonst aggressiv werde. Das tue ich. Aber Les lässt mich nicht in Ruhe. Ich schließe mich ein und warte. Dennoch reichen die vielen unschönen Szenen für mich nicht, um die Ehe wirklich infrage zu stellen und ihn zu verlassen. Ich hoffe immer noch, dass Les sich besinnt, dass er wieder der wird, in den ich mich verliebt hatte. Les hat, wie er mir erzählt, nie eine richtige Familie gehabt. Ich will, dass wir zusammenbleiben, denn Danny soll nicht ohne Vater aufwachsen.

Trennung, das war zu dieser Zeit anders als heute. Bei einer Scheidung wurde damals ein Schuldiger bestimmt. Und ich stellte mir die Frage, wie das Leben als alleinerziehende Mutter wohl wäre. Über sie wurde in der Gesellschaft die Nase gerümpft. Es gab sie quasi nicht – und auch keine weitreichenden Regelungen für sie. Es ist die Zeit, in der Frauen von ihren Männern noch eine Erlaubnis brauchen, wenn sie einer Arbeit nachgehen wollen. Und Männer können über ihre Frauen bestimmen, können für sie bei ihrem Arbeitgeber kündigen, ohne sie zu fragen – so steht es im Bürgerlichen Gesetzbuch. Erst im Jahr 1977 wird dieses Gesetz abgeschafft. Nein, Frauen bleiben bei ihren Männern, so ist das eben, so ist es vorgesehen. Außerdem: Die paar Missstimmungen kann man doch aushalten, erst recht dann, wenn man dank des Mannes so ein luxuriöses Leben führen kann wie ich. Menschen, die ich um Rat frage, die ich in meine Überlegungen einbeziehe, Les vielleicht doch verlassen zu wollen, reagieren mit Unverständnis. Aber ich hoffe immer noch, dass alles wieder gut wird. 

So wird es meine größte Aufgabe, meinen Sohn Danny zu beschützen. Manchmal hämmert und schreit Les solange an die Tür, bis ich öffne. Heute Abend ist er überhaupt nicht mehr zu beruhigen.
Er ist zurückgekommen und er lässt nicht von mir ab: „Dunja, mach die Scheißtür auf!“, brüllt er und rüttelt an der Klinke. Ich fürchte, er wird nicht aufhören, vor der Tür zu toben, bis ich rauskomme. Immer noch sitze ich auf dem Teppichboden, halte mir die Ohren zu. Danny ist in seinem Bettchen wachgeworden und weint.

Er ist erst ein paar Monate alt. Ich stehe auf, gehe zu ihm, streiche ihm über die Wange, auf der eine kleine Träne entlanggelaufen ist. Danny verstummt, er blickt mich aus seinen Kulleraugen an, und sein Gesicht hellt sich sofort auf. Er strampelt die Decke ein wenig weg und rudert mit den Armen. Les poltert erneut gegen die Tür. „Mach auf!“, schreit er. „Ach, du kleiner Junge, hast ja keine Ahnung – schlaf“, sage ich leise, gehe zur Tür, drehe den Schlüssel herum und drücke die Klinke herunter.
Les steht vor mir, wutschnaubend. Er schimpft irgendetwas Unverständliches, geht zum Kinderbettchen, beugt sich hinab und greift nach Danny.

„Lass den Jungen, lass ihn schlafen!“, sage ich, aber das interessiert Les nicht. Nicht, dass ich denke, dass er Danny etwas tun wird, aber der Kleine soll schlafen. Mein Mann nimmt Danny dennoch auf den Arm und wankt an mir vorbei in Richtung Küche. Ich habe keine Ahnung, was Les mit dem Baby dort will. Vermutlich weiß er es selbst nicht.
Ich gehe schnell hinterher, will den nächsten Moment abpassen, um ihm das Kind abzunehmen und es zurück ins Bett zu bringen.

Les schwankt, und es beginnt einer der längsten, ohnmächtigsten und schrecklichsten Momente in meinem Leben. Ich sehe, wie mein betrunkener Mann stolpert, wie er mit den Händen nach links und rechts greift, um sich abzufangen. Das Bündel, eben noch in seinem Arm, hängt für einen Augenblick förmlich in der Luft. Ich sehe, wie Danny fällt, und kann nichts tun. Les fängt sich ab, aber nicht das Baby. Es sind schreckliche Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkommen.

Danny schlägt hart auf dem Marmorboden auf. Mein Herz bleibt stehen. Totenstille. Sekundenlang. Dann schreit das Kind. „Was hast du getan?“, rufe ich. „Danny, Danny!“ Ich renne zu meinem Baby, falle auf die Knie, greife nach ihm, hebe es vom Boden auf. Les starrt verwirrt in unsere Richtung. „Was hast du denn? Wird schon nichts sein“, lallt er. Danny weint fürchterlich. Ich rufe nach Astrid, die sofort den Arzt verständigt, während ich mich um das Kind kümmere. Les murmelt, es werde schon nichts sein, ich solle mich nicht so anstellen. „Dem Kind ist doch gar nichts passiert. Du immer mit deiner Angst, du mit deiner heilen Welt“, stammelt Les und schenkt sich erneut etwas ein.

Wenig später, nach bangen Minuten, trifft der Kinderarzt ein. Während er Danny abtastet, trinkt Les ungerührt weiter. Astrid steht stumm dabei. Sie ist bei uns Mädchen für alles, wohnt im kleinen Nebenhaus der Villa.

Und sie weiß natürlich längst, was bei uns los ist. Ich fühle mein Herz immer noch heftig klopfen. Les hängt auf dem Sofa, glotzt vor sich hin und lallt wirres Zeug. Der Kinderarzt knöpft Dannys Strampler nach der Untersuchung zu: „Da haben Sie nochmal Glück gehabt“, höre ich ihn sagen. Wie durch ein Wunder sei nichts passiert. „Kinder haben weiche Knochen, das hätte aber auch ins Auge gehen können.“

Ich nicke stumm, bin immer noch unter Schock. Astrid begleitet den Arzt zur Haustür. Er weiß, dass niemand erfahren darf, was er gesehen hat. Astrid schließt die Tür, dreht sich um, wir schauen uns an. Jetzt ist es klar. Mein Entschluss steht fest: „Kannst du mir helfen?“, sage ich leise zu Astrid. „Kannst du mir helfen, dass ich hier wegkomme?“



Mehr über die Höhen und Tiefen dieser starken Frau gibt´s hier.

Dunja Rajter ist mit ihrer musikalischen Lesereise deutschlandweit unterwegs. Dabei liest sie Ausschnitte aus ihrer Biografie vor und bettet diese in ein musikalisches Programm ein. Zu den Terminen