ZweiSichten

Überraschende Gedanken über Gott und die Welt

Eine katholische Ordensschwester, und ein PR-Redakteur — gegensätzlicher können zwei Menschen auf den ersten Blick nicht sein.

Überraschende Gedanken über Gott und die Welt
Foto: Conny Kurz
Ursula Hertewich lebt im Kloster Arenberg. Mirko Kussin ist ein Großstadt-Redakteur, der von einem Abgabetermin zum nächsten jagt. Aber wenn beide sich über die großen Lebensthemen austauschen wird deutlich: Tief in uns bewegen uns alle dieselben Ängste und Wünsche. Lesen Sie die ZweiSichten über das Sehnsuchtsthema Vertrauen.

MIRKO KUSSIN


Mit dem Vertrauen ist es ja so eine Sache: Sie ist mehr als ein Hoffen oder Glauben, aber weniger als ein objektives Wissen. Wenn man jemandem vertraut, liefert man sich ein Stück weit aus. Man ist der Überzeugung, dass der andere es gut mit einem meint. Vertrauen fühlt sich gut an. Und warm. Wenn das Vertrauen jedoch enttäuscht oder missbraucht wird, sind meist Wut und Schmerz die Folge. Ich kenne nicht wenige Menschen, die große Probleme damit haben, sich überhaupt noch auf jemand anderen einzulassen.

Ursula und ihre Mitschwestern imponieren mir sehr, denn sie vertrauen voll auf Gott und auf seine Führung. Das ist objektiv betrachtet eigentlich komplett verrückt. In einer Zeit, in der die meisten Menschen möglichst alles unter Kontrolle wissen wollen, in der wir Zahnzusatzversicherungen abschließen, legen die Ordensschwestern ihr ganzes Leben in die Hände eines unsichtbaren und unbeweisbaren Gottes. Sie opfern Kinderwünsche, intime Partnerschaften, berufliche Karrieren und den Traum vom frei stehenden Einfamilienhaus mit Jägerzaun und Carport. Aber gerade in dieser Verrücktheit sind mir die Schwestern ein großes Vorbild. „Das muss einfach wahr sein“, denke ich dann manchmal. „Sie sind so überzeugt, so strahlend. Sie wissen um diesen Gott.“ Ich selbst stehe mit allen möglichen Arten des Vertrauens auf Kriegsfuß. Ich vertraue einem anderen Menschen nur sehr langsam – er könnte ja ein Verbrecher sein, könnte, könnte, könnte. Mein Selbstvertrauen ist ebenfalls nicht besonders ausgeprägt. Immer liege ich mit mir selbst im Krieg, glaube zu wissen, dass ich etwas sowieso nicht schaffen werde.

In den alltäglichsten Situationen schleicht sich Misstrauen in meine Gedanken: Ich finde ein undichtes Rohr im Keller unseres 130 Jahre alten Hauses? „Oh mein Gott, bestimmt ist das Fundament seit Jahrzehnten unterspült worden, das Haus ist sicherlich einsturzgefährdet und ich werde den Rest meines Lebens unter einer Brücke wohnen müssen.“ Eine Urlaubsreise mit dem Auto nach Italien? „Oh mein Gott, bestimmt haben wir einen Unfall oder das Auto explodiert und wir kommen nie wieder nach Hause, weil die ADAC-Mitgliedskarte mit dem Auto verbrennt. Dann werden wir den Rest unseres Lebens unter einer Brücke wohnen müssen. Einer italienischen Brücke.“

Klar, wenn ich niemandem vertraue, und Gott schon gar nicht, werde ich mit ziemlicher Sicherheit auch nicht enttäuscht werden. Gleichzeitig stehe ich aber auch verdammt einsam in der Gegend herum. Deshalb frage ich mich schon, woher dieses Vertrauen der Gläubigen auf Gott kommt. Ist es in einem drin, von Geburt an, wie die Farbe der Haare und die Neigung zu Sommersprossen? Sind es frühkindliche Erfahrungen? Irgendwelche dramatischen Erweckungserlebnisse, mit Blitz und Donner und brennenden Dornbüschen? Oder ist es letztendlich nur der ganze Weihrauch, der die Sinne benebelt und den Gläubigen ein kunterbuntes Himmelreich Gottes auf Erden beschert?

Ich hoffe, dass es nichts von alldem ist. Ich hoffe, dass die Ordensschwestern ihr Vertrauen im Laufe der Jahre eingeübt haben. Ich hoffe, dass auch sie immer wieder zweifeln und sich fragen, ob dieser Gott wirklich ist. Und ich hoffe, dass ihr Vertrauen auf Gott sich aus der Welt speist, aus den Begegnungen mit anderen Menschen, aus dem Radio, und dem Gebet, aus dem Stau auf der A3. Denn das würde bedeuten, dass wirklich jeder lernen kann, Gott zu vertrauen. Gott und anderen Menschen. Sogar sich selbst.



SCHWESTER URSULA


Da ich gerne Katzen mag, hatte ich mich vor einiger Zeit auch darüber gefreut, als ich die Aufgabe bekam, mich um eine besonders zauberhafte Vertreterin dieser Spezies – namentlich Mieze – zu kümmern. Zu meinem großen Bedauern war dieses Geschöpfchen jedoch überaus scheu. Tag für Tag stellte ich ihr Futter und Wasser hin, aber es kam nur äußerst selten vor, dass sie mir dabei über den Weg lief. Und war sie zufällig doch im Raum, als ich zu ihr hineinkam, verließ sie ihn fluchtartig. Wochenlang änderte sich an ihrem Verhalten nichts, und ich versuchte schon gar nicht mehr, auf irgendeine Weise mit ihr Kontakt aufzunehmen.

Doch nachdem ich mich schon ganz demütig in meine Rolle als Dosenöffnerin gefügt hatte, änderte sich plötzlich etwas an ihrem Verhalten. An einem Abend traute sich Mieze doch tatsächlich todesmutig, vor meinen Augen zu fressen. Also setzte ich mich eine Weile neben sie und schaute ihr zu. So ging das einige Abende: Mieze fraß und ich durfte zuschauen. Wenige Tage später dann war es so weit: Ich füllte den Futternapf und hatte mich kaum nichts ahnend hingesetzt, als Mieze mir unvermittelt auf den Schoß sprang und sich dort einkuschelte. Das Eis war gebrochen und sie ließ sich von mir kraulen, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Dieser Moment, in dem dieses ängstliche Tier plötzlich ein solches Zutrauen zu mir aufgebaut hatte, hat mich zutiefst berührt.

Ich genieße Vertrauen. Ja, ich genieße es, wenn andere Menschen sich mir beispielsweise in einem Seelsorge-Gespräch anvertrauen. Umgekehrt genieße ich es ebenso, wenn ich selbst jemandem absolut vertrauen  kann. Immer, wenn Vertrauen im Raum ist, habe ich das Gefühl, dass etwas Großes, Heiliges geschieht. Vertrauen wärmt, schenkt Kraft und lässt innerlich aufblühen.

Also: Vertrauen ist großartig! Hiermit könnte dieses Kapitel auch schon zu Ende sein, gäbe es da nicht – wie so oft – leider auch die Kehrseite der Medaille, das „Kleingedruckte“.

Je mehr ich einem Menschen vertraue, umso mehr zeige ich mich ihm ungeschützt mit allem, was mir auf der Seele liegt. Im Bild gesprochen heißt das, dass ich mich jeglicher Rüstung entledige und entwaffne. Und so ist es klar, dass mit einem größer werdenden Vertrauen gleichzeitig auch meine Verletzlichkeit zunimmt. Die Wunden, die ein Vertrauensbruch schlägt, gehen tief und sind – wenn überhaupt – nur schwer zu heilen.



Vertrauen ist großartig. So großartig, dass sogar die kleinste Dosis genügt, um eine ungeahnte Wirkung zu erzielen.



Tag für Tag führe ich Gespräche. Ob jung oder alt, fromm oder atheistisch, mutig oder angstbesetzt, krank oder gesund: Noch nie hat mir ein reflektierter Mensch gegenübergesessen, der von sich selbst sagen konnte: „Ich habe genug Vertrauen.“ Im Gegenteil. „Ich wünsche mir so sehr, einfach mehr vertrauen zu können.“ höre ich oft. Und hier kommt ein zweiter Aspekt ins Spiel: die schmerzende Diskrepanz zwischen dem Vertrauen-Wollen und Nicht-vertrauen-Können. Je folgenschwerer die Entscheidung, je verletzlicher ich mich mache, je mehr Enttäuschungen ich in meinem Leben bereits erfahren habe, umso mehr gehört dazu, den Sprung ins Vertrauen zu wagen.

Im 12. Kapitel des Markusevangeliums ist uns eine tröstliche Geschichte überliefert. Jesus beobachtet im Tempel, dass viele Reiche viel Geld in den Opferkasten werfen. Aber dann sieht er eine arme Witwe, die ebenfalls zwei kleine Münzen hineinwirft. Jesus sieht sie, ruft seine Jünger zu sich und sagt: „Diese arme Witwe hat mehr in den Opferkasten hineingeworfen als alle andern. Denn sie alle haben nur etwas von ihrem Überfluss hergegeben; diese Frau aber, die kaum das Nötigste zum Leben hat, sie hat
alles gegeben, was sie besaß, ihren ganzen Lebensunterhalt.“ (Markus 12,41-44, EÜ). 

Von außen betrachtet hat diese Witwe zwar ein unglaublich großes, geradezu unvernünftiges Vertrauen aufgebracht. Dennoch bin ich mir sicher, dass sie, die von Jesus dafür ein solches Ansehen erfährt, höchstwahrscheinlich nicht das Gefühl hatte, mit ihren zwei kleinen Münzen besonders viel gegeben zu haben. Wenn uns auch manchmal der Gedanke bedrückt, so gut wie nichts in die Waagschale werfen zu können, so dürfen wir uns doch sicher sein, dass jede auch noch so kleine Münze zählt und von Gott gesehen wird.

Ich habe in meinem Leben schon viele beeindruckende Menschen kennengelernt, die zwar bedingt durch ihre Lebensgeschichte eher misstrauisch veranlagt, aber dennoch in der Lage waren, mit einem gefühlt winzigen Vertrauen große Schritte zu setzen.

Machen wir uns nichts vor: Es kostet eine Menge, den dafür notwendigen Mut aufzubringen, doch dieser innere Einsatz macht sich am Ende dadurch bezahlt, dass unsere Lebensqualität geradezu Quantensprünge macht. Vertrauen kann wachsen. Und gleichzeitig ist es wichtig, mich selbst innerlich niemals zu überfordern.

Katze Mieze hat also alles richtig gemacht: Sie hat sich Zeit genommen, herauszufinden, ob ich vertrauenswürdig bin, und sich dann nach ihrem Maß in ihrem Tempo immer mehr getraut, Nähe zuzulassen. Und am Ende sind wir beide dann tatsächlich Freunde geworden, wer hätte das gedacht? Vertrauen ist großartig. So großartig, dass sogar die kleinste Dosis genügt, um eine ungeahnte Wirkung zu erzielen.


Gekürzter Auszug aus dem Buch „ZweiSichten“  von Ursula Hertewich & Mirko Kussin.


 


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