Verschwenderland oder Hoffnungsrepublik

Anders leben.

Jochen Brühl fragt, wie wir der Verschwendung von Lebensmitteln und Armut entgengentreten können. Ein Plädoyer für Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Engagement.

Anders leben.
Foto: Reiner Pfisterer
Hannes Jaenicke ist wütend. Jörg Pilawa wird zum Tafelbotschafter. Millionenerbin Paula Schwarz will ihre Millionen nicht und Bischof Overbeck aus Essen möchte, dass die Kirche wieder näher bei benachteiligten Menschen steht. Und das alles kommt ans Tageslicht, weil Jochen Brühl, der im Sommer frisch im Amt bestätigte Vorsitzende der Tafel Deutschland, ein Buch geschrieben hat und darin unbequeme Fragen stellt: Wie kann es sein, dass im reichen Deutschland Menschen arm sind? Wie kann es sein, dass jeden Tag tonnenweise Lebensmittel vernichtet werden? Ein Interview. 



Herr Brühl, „Volle Tonne, leere Teller“ ist die Essenz monatelanger Arbeit, vieler Gespräche und etlicher Reisen. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Es war für mich eine sehr intensive Zeit, in der ich ganz viel zugehört habe. Ich glaube, dass Zuhören in Zeiten von Schnelligkeit und zugespitzter Kommunikation in den sozialen Medien zu sehr verloren gegangen ist. Ich habe im Vorfeld der vielen Gespräche teilweise ganz andere Antworten von meinen Gesprächspartnern erwartet. Aufeinander zuzugehen ohne Vorurteile, verschiedene Meinungen und Sichtweisen auszuhalten, das habe ich als bereichernd erlebt. Nur durch eine lebendige Debatte können wir unsere Gesellschaft weiterentwickeln und unser Land gestalten. Das Buch soll dazu einen kleinen Beitrag leisten.


Warum muss man in diesem Herbst genau dieses Buch gelesen haben? Was macht das Buch mit den Leserinnen und Lesern?

Das Buch zeigt zwar schonungslos den Gegensatz von irrsinnigem Überfluss und Verschwendung auf der einen Seite und Armut und Not auf der anderen Seite, aber es verharrt nicht im Problematisieren. Es kommen Menschen zu Wort, die daran mitwirken, unsere Gesellschaft zum Besseren für alle zu wandeln. Das hat mir Mut gemacht. Und es inspiriert, sich selbst zu engagieren.


Kann man ein Buch über Lebensmittelverschwendung, Hunger und eine gespaltene Gesellschaft eigentlich zu Weihnachten verschenken?

Das finde ich schon. Denn das Buch zeigt ja, dass wir nicht machtlos sind angesichts dieser Probleme. Jede und jeder von uns kann etwas tun, und dazu ist Hinsehen der erste Schritt. Gerade zur Weihnachtszeit besinnen sich viele auf den christlichen Wert der Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe. Sie spenden, nehmen Menschen in ihr Gebet und sind selbst dankbar für das, was sie haben. Im Rest des Jahres lenken wir gerne mal von uns selbst ab und sehen die Politik alleine in der Pflicht, unsere Gesellschaft lebenswert zu machen. Das kann aus meiner Sicht nicht funktionieren, und vielleicht hilft das Buch dabei, sich im ganzen Jahr daran zu erinnern.


Welche Wirkung erhoffen Sie sich von „Volle Tonne, leere Teller“?

Ich möchte vor allem eine Debatte anstoßen und Menschen zum Nachdenken bringen. Es werden in unserem Land viel zu viele Lebensmittel weggeschmissen, das muss aufhören. Klimaschutz beginnt im eigenen Kühlschrank. Gleichzeitig gibt es eine Not und Einsamkeit in unserer Gesellschaft, die mich auch nach mehr als 20 Jahren Engagement bei den Tafeln noch sprachlos und traurig macht. 30 Millionen Menschen engagieren sich in unserem Land ehrenamtlich und mein Buch ist auch als leidenschaftliches Plädoyer dafür zu verstehen, dass jede und jeder unsere Gesellschaft mitgestalten kann.

Das Interview führte Annette Friese.



Eine Leseprobe zum Buch finden Sie hier.