Resilienz ist nicht das Ziel

Interview mit Samuel Koch

Kann man innere Widerstandskraft trainieren? Samuel Koch gibt im Interview Einblicke, was ihm „Stehaufkraft“ verleiht.

Interview mit Samuel Koch
Foto: Michael Englert
Resilienz ist ein Trendthema – was war für Sie Anlass, das angebliche Patentrezept auf den Prüfstand zu heben?

Jeder möchte natürlich resilient sein, also Schwierigkeiten oder Schicksalsschläge gut wegstecken. Die Resilienzforschung hat sich Menschen angeschaut, die das gut hinbekommen, und dann versucht, aus deren Erfahrungen allgemeingültige Regeln abzuleiten. Den ersten Teil finde ich sehr sinnvoll – also zu schauen, woher andere ihre Stehaufkraft beziehen. Aber dann kann man nicht einfach sagen: „Du musst das auch so machen und dann bist du resilient.“ Es gibt kein Rezept für Resilienz. Damit macht man Menschen zum Objekt einer Belehrung. Das ist erstens schädlich und zweitens nutzlos – wie mir Gerald Hüther erklärt hat. Allenfalls kann man sich von anderen inspirieren lassen, eigene Ansätze zu finden. Das klingt ähnlich, ist aber ein entscheidender Unterschied.

Was macht diesen Unterschied aus?

Eine Belehrung – auch Ratgeber genannt – versucht, Menschen von außen etwas zu zuführen. Inspiration funktioniert genau andersherum. Und ich bin überzeugt, dass wirkliche Veränderung nur von innen nach außen gehen kann. Resilienz kann nur das Ergebnis dieser inneren Prozesse sein, nicht das Ziel. Wie Viktor Frankl sagte: Glück – oder eben auch Resilienz – kann man nicht er-zielen, sie muss er-folgen.

Mehr Leidensdruck auszuhalten ist Ihrer Auffassung nach gar nicht unbedingt von Vorteil. Warum?

Wenn der Leidensdruck aus einer unguten Situation entsteht, finde ich es sinnvoller, die Situation zu verändern, statt den Betroffenen mehr „abzuhärten“, damit er besser funktioniert. In anderen Fällen ist es aber vielleicht gut und richtig, sich selbst auch mal zu sagen: „Stell dich nicht so an!“ Daher auch meine Abneigung gegen Patentrezepte.

Für viele sind Sie ein großes Vorbild. Wie sehen Sie sich selbst?

Ach du Schreck! Ich sehe wenig Vorbildhaftes darin, mit dem Kopf gegen ein Auto zu rennen und sich dabei das Genick zu brechen.

Als Allheilmittel werden sieben Säulen der Resilienz beschworen. Sie zweifeln an der Tragfähigkeit. Warum?


Diese Säulen sind grundsätzlich gar nicht verkehrt. Optimismus zum Beispiel ist eine gute Sache. Reicht aber nicht, wenn es wirklich schlimm kommt. Dann braucht man etwas Größeres mit mehr Zugkraft. In meinem Fall Hoffnung. Auch Zielorien tierung ist gut, aber ich brauche mehr als ein Ziel, nämlich einen Sinn. Mich stärken auch viele etwas altmodisch klingende innere Haltungen. Zum Beispiel Demut, Langmut und Sanftmut. Aber auch Disziplin, Besinnung oder Fantasie. Und das Wichtigste: Altruismus. Ich bin überzeugt, wenn jeder sich nicht nur um sich selbst und seine Lebensoptimierung kümmern und sich stattdessen ganz in das Wohl anderer Menschen investieren würde, gäbe es keine Probleme auf der Welt. Dann hätten wir den Himmel auf Erden und alle wären glücklich.

Was ist für Sie als Kraftquelle lebenswichtig?


Wie alles im Leben ist das je nach Tagesform und Situation unterschiedlich. Meine Frau Sarah, meine Familie, meine Freunde. Der Wunsch, die Welt ein bisschen besser zu machen. Und wenn das alles nicht hilft, mache ich es wie bei allem, was ich nicht verstehe: Ich wende mich an den Hersteller oder schlage in seiner Gebrauchsanweisung nach.

In Ihrem Buch erzählen Sie von unterschiedlichsten Menschen – Straftäter inklusive. Was war Ihnen wichtig?

Die Frage, die ich am häufigsten gestellt bekomme, ist: „Woher nimmst du die Kraft weiterzumachen?“ Ich habe angefangen, den Spieß umzudrehen und zu fragen: „Was hilft dir denn?“ Was bringt einen lebenslänglich verurteilten Mörder dazu, jeden Morgen wieder aufzustehen? Da kommt man an den Kern des Ganzen, denke ich.

Ein wichtiger Gesprächspartner war für Sie der renommierte Neurobiologe Gerald Hüther. Was schätzen Sie an ihm?
Gerald Hüther hat die herrliche Fähigkeit, komplizierte wissenschaftliche Zusammenhänge verständlich auszudrücken. Es hat mich sehr gefreut, dass er meine Ansätze voll unterstützt.
Wir glauben beide nicht daran, dass man aus einem Ratgeber lernen kann, wie man resilient wird. Auch sind wir überzeugt, dass es im Leben nicht um Selbstoptimierung geht oder darum, möglichst reibungslos zu funktionieren, sondern darum, voll und ganz zu leben und sich für etwas Größeres zu engagieren als sich selbst.

Ihr Lebensmotto?

Zufrieden sein, aber sich nicht zufriedengeben. Und so viel Himmel auf Erden feiern wie eben möglich.


Das Interview führte Elisabeth Zeitler-Boos für das Magazin „Büchermenschen“.




Eine Leseprobe zum Buch finden Sie hier.