Verschieden und doch vereint

Wie kann Toleranz gelingen?

Zwischen zwei Kulturen: Dr. Prinz Asserate, Mitglied des äthiopischen Kaiserhauses und deutscher Staatbürger, über seine Erfahrungen mit Toleranz

Wie kann Toleranz gelingen?
Foto: Darius Ramazani
Dr. Prinz Asfa-Wossen Asserate hat in seiner Anthologie verschiedenste Expertenmeinungen zum Thema Toleranz gesammelt. Ein Thema mit dem er als Deutscher mit äthiopischen Wurzeln, Geflüchteter und Experte für Menschenrechts- und Migrationsfragen ebenfalls zahlreiche Erfahrungen gemacht hat.

Toleranz, das klingt schön, ist im alltäglichen Miteinander aber oft Dynamit. Was hat diese Idee an sich, dass sie so eine Sprengkraft entwickeln kann?

Dass sie in der Praxis so schwer auszuüben ist! Toleranz ist Teil des Wertekanons einer Gesellschaft. So kann es sein, dass Völker die Werte der anderen nicht akzeptieren können, weil sie nicht durch diese geprägt wurden. Werte und Tugenden prägen schließlich nicht nur das persönliche Leben jedes Einzelnen. Sie sind die Basis und das Verbindende von Kulturen und Gesellschaften. Wir sprechen daher auch von Wertegemeinschaften. Gemeinsame Werte verbinden die einzelnen Individuen, sodass dadurch eine Gesellschaft entsteht.

So können wir sagen, dass die Werte die konstitutiven Elemente der Kultur darstellen. Sie definieren Sinn und Bedeutung für die Menschen innerhalb eines Sozialsystems. Aus Werten leiten sich Tugenden, Regeln und Normen einer Gesellschaft ab. An diesem Gesichtspunkt wird deutlich, dass Werte eine tiefe Bedeutung für die jeweilige Zivilisation haben. So ist es auch mit der Toleranz, wenn sie zum Wertekanon einer Nation aufsteigt – dann wird sie zum Fundament einer ganzen Gesellschaft.

Sie sind deutscher Staatsbürger und Mitglied des ehemaligen äthiopischen Kaiserhauses. Sie waren ein Geflüchteter und Fremder fern der Heimat, jung und ohne Ihre Familie. Wie haben Sie damals die Deutschen erlebt? Wie erleben Sie sie heute? Und wieviel Toleranz mussten und müssen eigentlich Sie aufbringen, um mit Ihren Landsleuten in Frieden und Freundschaft leben zu können?

Als ich Ende der 60er-Jahre zum Studium in die Bundesrepublik Deutschland kam, fand ich ein Volk vor, das mir nicht fremd war, da ich all „das Deutsche“ schon während meiner Zeit an der Deutschen Schule in Addis Abeba kennenlernte. Ich kannte seine Geschichte, seine Sprache und seine Umgangsformen. Deshalb war es überhaupt nicht schwer, mich in meiner neuen Umgebung einzugewöhnen – trotz meiner eigenen äthiopischen Kultur, die mich natürlich von Kindesbeinen an geprägt hat. Dies sehe ich als großes Privileg. So konnte ich schon sehr früh die Brücke zu den Deutschen schlagen

Ich fand sehr gastfreundliche und wissbegierige Menschen vor, die ein ehrliches Interesse an meiner Andersartigkeit zeigten.



Wie anders ist es heute bei den Hunderttausenden Flüchtlingen, die ohne Wissen über die Deutschen und ihre Kultur hierher kommen, außer dass sie vielleicht glauben, in ein reiches Land einzureisen – kein Wunder, dass die Integration nicht so einfach ist, wie es glücklicherweise bei mir der Fall war.

Ich fand sehr gastfreundliche und wissbegierige Menschen vor, die ein ehrliches Interesse an meiner Andersartigkeit zeigten. Insofern brauchte ich nicht um Toleranz zu buhlen, da sie schon vorhanden war. Nun darf man nicht vergessen, dass die Zahl der ausländischen Mitbürger im damaligen Deutschland überschaubar war und nicht mit der Situation von heute zu vergleichen. Toleranz zu üben bei einer geringeren Zahl von Menschen anderer Hautfarbe und anderer Kultur ist scheinbar wesentlich leichter als bei den Zahlen, die wir seit 2015 erleben!

Welche Männer und Frauen, die bereits über Toleranz und das Zusammenleben der Menschen schrieben, haben Sie geprägt und bewegt? Was wäre aus all dem Ihr Lieblingszitat?

Ich glaube sagen zu können, dass mein soziales und politisches Denken von der Bibel, von der äthiopischen Kulturwelt und den Vordenkern der Aufklärung geprägt wurde:
Vom Gesetz „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ in der Bibel, von den Schriften des äthiopischen Philosophen Zara-Yakob, bis zum Kategorischen Imperativ Immanuel Kants, von den Schriften des John Locke aus der Glorreichen Revolution und nicht zuletzt von den Ausführungen des französischen Philosophen Alexis de Tocqueville, wurde ich beeinflusst. Das heißt, mein Wertekanon basiert auf klassischem Gedankengut aus Äthiopien und Europa. Mein Lieblingszitat verdanke ich Kurt Tucholsky, der einmal sagte: „Toleranz ist der Verdacht, dass der Andere recht hat.“

Wie kommt der Kanon der Autorinnen und Autoren, die ihre Essays in der Anthologie vorlegen, zustande?

An der Liste der Autoren wird der Leser selbst die Spannweite der Beiträge abschätzen können. Ich bin zutiefst dankbar, dass es mir gelungen ist, einen Bogen zu spannen, der unterschiedlichsten Denktraditionen ein gemeinsames Forum bietet – von Martin Mosebach bis Dietmar Bartsch. Für mich ist auch dies ein Zeichen gelebter Toleranz!

Was sind Ihre Hoffnungen und Visionen für unsere Zukunft? Und was kann Ihr Buch dabei bewirken?

Ich hoffe, dass die junge Generation sich nicht nur an den Werten ihrer Eltern orientiert, sondern für sich neue Wege findet, aber wieder angelehnt an den großen Wertmaßstäben der Menschheit. Und ich hoffe, dass sie daraus im 21. Jahrhundert eine friedlichere, harmonischere, würdevollere und ja, tolerantere Welt miterschaffen, als es ihren Eltern und Großeltern im 20. Jahrhundert gelungen ist.

Das Interview führte Annette Friese.