Eine ungewöhnliche Pressekonferenz

Eine zweite Chance

Berlin. Als Thomas Middelhoff sein Buch "Schuldig." präsentiert, weichen die Ressentiments der Medienvertreter angesichts seiner ehrlichen Worte einer Nachdenklichkeit.

Eine zweite Chance
Foto: Darius Ramazani
20. August 2019: An diesem Vormittag sollte im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin einmal nicht die Politik im Vordergrund stehen. Thomas Middelhoff würde den Vertretern der Hauptstadtpresse mit Unterstützung des adeo-Teams sein neues Buch „Schuldig.“ vorstellen. Thomas Middelhoff war für viele Menschen in Deutschland der Inbegriff des gierigen, arroganten Managers, der durch seine Verurteilung und seine Haft endlich bekommen habe, was er verdiente, so die landläufige Meinung. Und nicht nur sein eigenes Verhalten, auch die Presse hatte das Ihre getan, um diese Meinung anzufachen.



Wie präsentiert man den Medienvertretern die Biografie eines Mannes, dessen bloßer Name auf sofortige Ablehnung stößt?



Alle Beteiligten waren daher aus gutem Grund angespannt: Wie präsentiert man den Medienvertretern die Biografie eines Mannes, dessen bloßer Name auf sofortige Ablehnung stößt? Der zu den umstrittensten und am meisten beachteten Personen – im durchaus negativen Sinne – gehört?

In der Vorbereitung der Pressekonferenz hatten wir uns daher für eine ungewöhnliche Herangehensweise entschieden: Statt die zu erwartenden Ressentiments der Redakteure zu entkräften, sollten die Pressevertreter direkt selbst zu Wort kommen, indem jeder der Anwesenden sich kurz vorstellte und seine wichtigste Frage präsentierte.



„Können Sie sich selbst noch im Spiegel anschauen?“



Das Ziel: Weniger Konfrontation, sondern vielmehr ein Gespräch auf Augenhöhe. Nach kurzer Überraschung machten die Redakteure mit. „Können Sie sich selbst noch im Spiegel anschauen?“, so eine der Fragen. „Schon zwei, drei Jahre vor meiner Verhaftung hatte ich ein Störgefühl, wenn ich in den Spiegel geblickt habe. Als ich im Gefängnis war, habe ich mich so geschämt, dass ich meinen Anblick nicht mehr ertragen konnte. Heute sehe ich zwar ein paar Altersflecken, aber ich bin zufrieden“, war die ehrliche Antwort. „Vermissen Sie nicht Ihr altes Leben in Reichtum und Luxus?“ „Ehrlich gesagt nicht. Entweder zerbricht man daran, oder man erkennt, dass man ein gutes Leben ohne all das haben kann. Am liebsten fahre ich heute Fahrrad. Da ist man in der Regel eh schneller.“



Aus Ablehnung wurde Interesse, aus Häme Nachdenklichkeit angesichts der Ehrlichkeit und des persönlichen Eingestehens der charakterlichen Fehlentwicklungen.



Authentisch und zuvorkommend beantwortete Thomas Middelhoff alle Fragen, und die Atmosphäre im Raum änderte sich merklich. Aus Ablehnung wurde Interesse, aus Häme Nachdenklichkeit angesichts der Ehrlichkeit und des persönlichen Eingestehens der charakterlichen Fehlentwicklungen. Keine Frage, die Fernsehteams und Print-Journalisten hatten einen veränderten Menschen vor sich, der reflektiert sein Leben, seine Fehler und seine Schuld betrachtet.



„Fähigkeit bringt dich nach oben, aber es ist der Charakter, der dich dort hält.“



Sein Wunsch heute: Anderen, vor allem jungen Menschen Wege zu zeigen, wie man es anders, besser machen kann, wenn man in Verantwortung für sich und andere steht: „Fähigkeit bringt dich nach oben, aber es ist der Charakter, der dich dort hält.“ Wir freuen uns, dass Thomas Middelhoff auf diese Weise wirklich bekommen hat, was er verdient: eine zweite Chance.

Von der Pressekonferenz berichtete Ilka Walter.



Eine Leseprobe zum Buch finden Sie hier.