Autor Matthias Huff im Interview
Matthias Huff ist Journalist, ehemaliger Reporter beim ZDF-Landesstudio, Redaktionsleiter beim KiKa, Autor – und brennender Johnny Cash-Fan. Zum 20. Todestag der Musiklegende gewährt Huff in der Biografie „Johnny Cash – Meine Arme sind zu kurz, um mit Gott zu boxen“ facettenreiche und überraschend neue Einblicke in das Glaubensleben des „Man in Black“.
Lieber Herr Huff, was ist es, dass Sie an Johnny Cash so sehr fasziniert, dass Sie sogar ein Buch über ihn geschrieben haben?
Es ist nicht so, dass ich gerade Johnny Cash hörte und dann gedacht habe: Da schreibe ich doch ein Buch drüber. Da halte ich es eher mit Albert Einstein: Musizieren, lieben – und Maul halten. Mich hat das Image von Johnny Cash in Deutschland zum Widerspruch gereizt. Er ist eine Ikone, aber es geht fast immer nur um das dunkle Image, Gefängniskonzerte, Drogen, vielleicht in der Folge des Kinofilms „Walk the Line“ noch um die Liebesgeschichte mit June Carter. Dass Johnny Cash jederzeit gern bekennender Christ war, selbst zum Pfarrer ordiniert wurde, das wird erstaunlich konsequent ignoriert. Dahinter vermute ich ein Vorurteil, das ungefähr so geht: Jemand so Cooles kann nicht christlich sein. Das sagt einiges aus über das Image des Christentums im Deutschland der Gegenwart. Also stürzte ich mich auf das Christliche bei Johnny Cash – und dann hat mich sein Glaube so mitgerissen, dass ein Buch daraus wurde.
Die klassischen Lebensstationen sind in dem Buch schon drin. Aber ich suche, und ich glaube, das ist neu, den Christen Johnny Cash vorrangig in seinen christlichen Songs und Projekten. Ich möchte glänzen lassen, was er als Künstler kreativ aus seinem christlichen Glauben macht. Und da er nicht aus dem Nichts schafft, sondern tief verwurzelt ist in Folk, Blues, Gospel, kann ich auch noch über die Musik schreiben, die ich liebe.
Wenn Sie eine Zeitreise machen, und für einen Moment mit Jonny Cash in seinem Studio sitzen könnten, was würden Sie ihn gerne fragen?
Ich würde die Zeitmaschine auf „Ende 1971_Israel“ einstellen. Da begann Johnny Cash sein größtes künstlerisches Werk, „Gospel Road“, einen selbstfinanzierten Kinofilm über Jesus. Johnny Cash ist der Erzähler, nach dem ursprünglichen Plan sollten im Bild nur die Füße Jesu wandernd zu sehen sein. Sein Regisseur überzeugte ihn, dass das keine gute Idee ist, dann wurde vor Ort gecastet. Der Regisseur bekam die Jesus-Rolle, June Carter spielt Maria Magdalena und in Scharen wurden reisende Hippies für weitere Rollen verpflichtet. Also würde ich Johnny Cash nach einem Komparsen-Job fragen. Ihn bei diesem Film zu erleben, beim dem er maximal persönlich engagiert war, würde mir seinen Glauben wohl näherbringen als jede Antwort auf eine Frage.
Übrigens wurde Johnny Cash in einem Interview eine ähnliche Frage gestellt: Bei welchem historischen Ereignis wären Sie gerne dabei gewesen? Er antwortet, er hätte gern zugehört, als Jesus auf dem Berg predigte – die Bergpredigt ist für ihn das Zentrum der Bibel.
Johnny Cash wird auch als „Man in Black“ bezeichnet. Für alle, die ihn nicht so gut kennen, können Sie kurz erklären, wie er zu diesem Spitznamen kam?
1971 schrieb er den Song „Man in Black“. Ein Protestsong auf dem Höhepunkt der Protestbewegung, mit der er heftig sympathisierte. Mit dem Song lädt er seine Kleidungsfarbe mit Sinn auf. Er singt, er trägt Schwarz für alle Außenseiter, alle Entrechteten, solange bis die Dinge ein wenig besser geworden sind. Das ist natürlich eine Stilisierung – faktisch hat er meistens, aber nicht immer auf der Bühne schwarz getragen. Und es begann wohl damit, dass er mit seiner Band den allerersten Auftritt in einer Kirche hatte. Hektisch durchsuchten sie ihre Garderobe nach etwas Gemeinsamen. So kam es zu Schwarz, und sie fanden dann auch, Schwarz passt am besten in die Kirche.
Haben Sie ein persönliches Lieblingslied von Johnny Cash? Oder eines, das Sie besonders charakteristisch für ihn finden?
Immer wieder in Schleife hören kann ich „Beans for Breakfast“. Ein sehr cooles sehr komisches Lied darüber, wie Johnny als Strohwitwer alles vermasselt. Dahinter steht auch eine Geschichte: Mitte der 90er war ich Kinderfernsehen-Redakteur im Studio. Der jugendliche ZDF-Moderator Gregor Steinbrenner schmetterte in Aufzeichnungspausen gern den Refrain. So bekam ich mit, dass Johnny Cash plötzlich wieder angesagt war und entdeckte ihn wieder. Ich hatte die erste LP von Johnny Cash mit 12 Jahren bekommen, hatte ihn aber etwas aus den Augen verloren.
Das Leben von Jonny Cash ist voller Ambivalenzen. Aber eine, die oft außenvorgelassen wird, ist, dass er neben seiner Drogensucht oder dem Hotelzimmer-Zertrümmern auch ein tiefgläubiger Christ war. Wie passt das zusammen?
Das weiß ich auch nicht, das versuche ich im Buch zu umkreisen. Das ließe sich abschließend nur beantworten, wenn wir solide verstehen würden, warum wir das Böse tun wenn wir das Gute erkannt haben. Johnny Cash hat wohl am meisten darunter gelitten, dass er so oft alles zerstörte, woran er als Christ eigentlich glaubte, seine erste Ehe ruinierte, wenig davon mitbekam, wie seine vier Töchter aufwuchsen. Bei Johnny Cash sind die Widersprüche schon auffällig, ein Kollege bezeichnete ihn als Schurken, der Gott liebt.
Ich glaube, eine große Rolle spielt sein tiefes unerschütterliches Gottvertrauen seit seiner Kindheit. Er hatte so wenig Angst vor Gott, so viel Vertrauen in seine Gnade, dass es schon zur Sorglosigkeit reizte. Er erzählt, am Anfang hätte er sogar geglaubt, Gott hätte ihm die Drogen geschickt um ein besserer Performer zu werden. Und wenn er als Künstler heftig das Outlaw- und Rebellenimage bediente, dann vertraute er wohl auf das große Herz von Jesus für Außenseiter. Das Dunkle und Helle waren immer in Bewegung, es gab nicht die eine große Bekehrung, sondern ein Wechselspiel, bei Diätversuchen würde man wohl von einem Jo-Jo Effekt sprechen.
Thorsten Dietz verdanke ich da einen wertvollen Hinweis: Viele Evangelikale – und Johnny Cash war bibeltreu und evangelikal – gestehen zwar zu, dass der Mensch grundsätzlich sündig ist, halten es aber doch irgendwie für möglich, dass der bekehrte Gläubige ab nun stetig gut handelt. Für Johnny Cash muss man festhalten: Das ist nicht so. Aber das hat ja auch etwas sehr Motivierendes: Wir können auch Christen sein ohne die Bedingung, ab Punkt X allem Bösen und Schlechten abhold zu sein.
Und wenn wir schon bei Johnny Cashs Glauben sind: Was hat sein Glaube für ihn bedeutet? Und was können wir heute vielleicht sogar von ihm lernen?
Als Ende einer Johnny Cash Doku stellt sein Freund „Cowboy“ Jack Clement die Frage in den Raum, ob Johnny Cash ein Engel war. Schon die Vermutung hätte Johnny Cash wohl nicht behagt – dafür bedeuteten ihm Engel zu viel. Aber ich glaube, wir können sehr viel von ihm lernen, ich zumindest habe das.
Sein Glaube bedeutete Johnny Cash alles, er war das Fundament seines Lebens, auch seiner Ehe mit June Carter, eine sehr lange, bewegte und große Liebesgeschichte. Johnny Cash hat diese unglaublich tiefe und warme Südstaatengläubigkeit. Er hat seinen Glauben immer gefeiert und fast nie verteidigt. Ich vergeude immer noch zu viel Energie damit, meinen Glauben vor mir und anderen zu rechtfertigen, irgendwie schiele ich doch noch auf den Segen Immanuel Kants .Ich höre in der Kirche immer wieder gerne vom „Frieden Gottes, der höher ist als jede Vernunft“ – mit Johnny Cash kann ich mutiger darauf vertrauen.
Dann ist da der nichtrichtende Geist von Johnny Cash, der einfach zu viel mit seinen eigenen Sünden zu tun hat also sich auch noch um die anderer kümmern zu können und zu wollen. Es gibt Gut und Böse, aber die Grenze verläuft strikt in ihm.
Und dann hat Johnny Cash einiges damit zu tun, dass ich endlich den Weg in das Gemeindeleben gefunden habe, in dem ich mich jetzt sehr wohl fühle. In vielen christlichen Songs der 70-er, die jetzt auf der Compilation „The Soul of Truth“ veröffentlicht sind, feiert er nicht nur Jesus, sondern auch das christliche Leben in Gemeinschaft. Du hörst da die Erlösungsfreude, die für Johnny Cash so typisch ist. Und wieviel Spaß es ihm macht, von Jesus zu erzählen. Etwa in dem Song „The Greatest Cowboy of Them All“, da wird Jesus vom Hirten zum größten Cowboy aller Zeiten, der die im Wilden Westen legendären „Mavericks“, freilaufende Rinder, in die Herde zurückbringt. Für mich liegt es nahe, dass Johnny Cash sich als Maverick sieht, der immer wieder eingefangen werden muss – aber auf den Cowboy Jesus vertraut.
Ich hoffe, Leserinnen und Leser finden noch viel mehr, denn am Ende geht es in dem Buch ja nicht um theoretische Fragen oder Musikgeschichte, sondern genau darum: uns von Johnny Cashs christlichem Glauben inspirieren zu lassen.
Das Interview führte Dorothea Gösele.